Nichts machen und nichts wegmachen

(Lesedauer ca. 3 Minuten)

Eine alte taoistische Geschichte

Einen Ochsen zerteilen

Der Koch des Fürsten Wen Hui zerteilte einen Ochsen.

Hand hinein, Schulter herabgezogen, Fuß fest aufgesetzt, Knie dagegenstemmen — schon liegt das Tier in Stücken da.
Das blanke Messer flüstert wie ein Windhauch.
Das ist eine Harmonie, wie sie bei einem Kulttanz, beim Kinderreigen und bei alten Liedern selbstverständlich ist.

„Das nenne ich gute Arbeit”! sagt der Fürst, „du hast die richtige Methode”.„Methode?” meint der Koch und legt sein Messer auf den Tisch. „Ich folge nur dem Tao, und damit stehe ich haushoch über allen möglichen Methoden!

Als ich anfing, Ochsen zu zerteilen, sah ich das ganze schwere Tier vor mir: eine einzige dumpfe Masse.

Nach drei Jahren aber entdeckte ich in dieser Masse feine Trennungslinien.
Jetzt schaue ich erst gar nicht mehr hin. Alles in mir wird zum Auge. Meine Sinne können müßig bleiben, der Geist arbeitet für sie, der Geist, der keinem Plan folgt, sondern nur dem eigenen Instinkt gehorcht. So findet mein Messer mühelos die verborgene Öffnung, und ich brauche kein Gelenk mehr zu durchtrennen und keinen Knochen zu zerspalten.

Ein guter Koch braucht jedes Jahr ein neues Hackbeil. Er schneidet.
Ein schlechter Koch braucht jeden Monat ein neues Hackbeil. Er hackt drauflos.

Dieses Messer benutze ich jetzt schon neunzehn Jahre. Ich habe damit tausend Ochsen aufgeschnitten, und es ist immer noch so scharf wie am ersten Tag. In den Gelenken sitzen kleinste Zwischenräume. Die Messerklinge ist ganz dünn und spitz. Sie findet diese Zwischenräume. Mehr Raum braucht es nicht! Alles geht dann leicht und schnell. Deshalb bleibt auch mein Messer immer scharf, und ich brauche es nicht zu wetzen. 

Sicher trifft es manchmal auf Gelenke, die ungewöhnlich zäh sind. Ich spüre, wie sie kommen, ich schneide langsamer, bewege kaum noch die Hand und drücke in dem richtigen Augenblick entschlossen durch: Das Fleischstück fällt herunter wie ein Klumpen Lehm. Dann halte ich inne und lasse die Freude über den gelungenen Schnitt durch alle Poren in mein Inneres dringen. Ich säubere das Messer und lege es beiseite.”

Fürst Wen Hui sagte: „Mein Koch hat mir gezeigt, wie ich mein Leben leben sollte.”

(Aus: „Sinfonie für einen Seevogel“ von Thomas Merton, Patmos-Verlag, 1984)

Dieser 2300 Jahre alte Text von Zhuāngzǐ (Tschuang Tse) gehört zu meinen Lieblingstexten. Ich lese ihn oft vor. Er erläutert das Wu Wei-Prinzip des Taoismus sehr schön (Wu Wei – auch Wuwei – heißt wörtlich „Nicht handeln“): Nichts machen und nichts weg machen. Am Ende ist die Arbeit getan.

Es ist ein interessantes und lohnenswertes Experiment, dieses Prinzip zu verfolgen. Ich schlage es häufiger in meinen Gruppen vor. Die Anleitung ist dann etwa so: „Jeder macht, wonach ihm ist. Wir sprechen dabei nicht, weil es die Achtsamkeit erleichtert, und um den Rahmen der ganzen Übung etwas zu verengen. Niemand macht etwas, und es macht niemand etwas weg. Jeder experimentiert damit, wie es ist, den eigenen Impulsen zu trauen und ihnen nachzugehen.“

Der Rahmen dieser körpertherapeutischen Übung kann eine Begegnung zu zweit sein, in der reihum alle paar Minuten der Partner gewechselt wird. Oder es geht um die Hinwendung zu einer Person, die sich in die Mitte begibt und somit – zumindest anfangs – zum Zentrum wird.  Es ist schön, die eigenen Impulse zu spüren, ihnen nachzugehen und nicht unter Anstrengung zu handeln. Es braucht meist Übung, immer weniger zu tun, immer mehr zu lassen und sich „dem, was getan werden will“ nicht in den Weg zu stellen. Häufig stellt sich ein gemeinsames „Spielen“ oder „Tanzen“ mit Bewegungen ein. Es können Gefühle auftauchen, die dann da sein dürfen (nichts wegmachen). Die Empfindung des Seinszustandes entspricht immer mehr einem „es geschieht“ anstelle einem „Ich handle“. Im assoziativen Gewebe einer Gruppe geschieht es häufig, dass alles wichtig ist, sogar, wenn sich der einzelne Teilnehmer über seine eigenen Impulse wundert. Das stellt sich dann heraus, wenn wir den Prozess besprechen, um ihn noch besser zu verstehen (auch wenn das für die Wirkung gar nicht notwendig wäre).

Vielleicht ist es das, was unter Absichtslosigkeit verstanden wird? Und kann man so wirklich seine Arbeit machen?