Zen und Psychotherapie

(Lesedauer ca. 5 Minuten)

Psychotherapie ist manchmal nicht einfach. Muss man etwas tun, um sich zu verändern? Wie geschieht denn Veränderung?

„Richtig“ und „Falsch“

Wenn ich mich verändern will, kann ich kann mich natürlich anstrengen. Ich kann versuchen, etwas besser hinzubekommen. Im Kontext Zen ist ein wesentliches Thema die problematische Einteilung in „richtig“ und „falsch“. (Auf das noch grundsätzlichere Problem, was dieses „Ich“ ist, das sich verändern soll, gehe ich hier nicht ein.)

Wenn ich nach Zielen in der Psychotherapie frage, habe ich ein Konzept von richtig und falsch. Eines soll sein, ein anderes soll nicht (so) sein. Ich wünsche etwas, ich lehne etwas anderes ab.

Das So-Sein im Zen

Im Zen wird auf das So-Sein verwiesen: Durch die Übung kann es dazu kommen, dass ich nichts wünsche und nichts ablehne – wenn ich „mit dem bin, was ist“. Es kann die sehr fundamentale Erfahrung eintreten, nicht von dem getrennt zu sein, was ist, und das lässt es (alles) in Ordnung sein. Ich muss dann nichts daran ändern. Dieses Erleben kann ich als völliges Eins-Sein mit allem beschreiben. Aber es ändert sich. Ich bleibe ja nicht untätig. Aus einem spontanen Impuls heraus geschieht Handlung. Das ist Wu-Wei, von dem ich hier öfter schon geschrieben habe: Handeln, ohne etwas zu machen.

Wir stellen etwas zwischen uns und die Erfahrung

Ich beobachte bei mir und anderen Menschen, wie wir etwas zwischen uns und die Erfahrung stellen. Wir trennen uns damit von der Existenz, dem was ist. Etwas zwischen sich und die Erfahrung zu stellen, geschieht durch den Geist. Der Geist glaubt, die Welt über den Kopf wahr nehmen zu müssen. Ich bin damit ein Beobachter, ein distanzierender Beobachter. Dann stelle ich Gedanken zwischen mich und die Erfahrung. Das können also Beschreibungen sein. Aber auch Wünsche sind natürlich sehr beliebt: „Ich hätte das gerne ganz anders!“ Damit bin ich getrennt vom Erleben.

Gewahrsein

Gewahrsein ist etwas anderes. Es ist etwas körperliches. Am klarsten ist das, wenn ich etwas mit der Haut spüre, oder mit dem Stellungssinn der Gliedmaßen. Ich kann das Gefühl an den Beinen entweder unmittelbar spüren, also im Gewahrsein sein, oder ich kann die Gefühle vom Kopf aus quasi beobachten – und bin dann ein Stück weit entfernt davon. Das gleiche gilt auch fürs Hören und Sehen. Die Nähe zum Kopf verführt aber oft dazu, gleich im Beobachter zu landen.

Sprache distanziert

Worte haben die fatale Eigenschaft, das Unmittelbare durch die Vermittlung zu etwas Mittelbarem, zu etwas Distanziertem zu machen. Nun, das ist ihr Sinn. Aber einer mit Folgen, die uns bewusst sein sollten. Wenn ich etwas beschreibe, stelle ich etwas dazwischen, zwischen mich und die Beschreibung. Wenn ich den Geschmack von Erdbeeren beschreibe („Süß, sauer, fruchtig,…“) bin ich selbstverständlich nicht im unmittelbaren Erleben des Geschmacks. Dazu müsste ich sie essen. Die Unmittelbarkeit kann nicht beschrieben und nicht vermittelt werden, sie ist unvermittelbar und unvermittelt da.

Okay, was hat das jetzt mit der Veränderung zu tun, die wir in der Psychotherapie anstreben?

Ich will niemanden verändern

Zunächst einmal: Ich selbst strebe keine Veränderung bei dem an, der zu mir kommt. Es muss sein eigener Wunsch bleiben. Und seine eigene Verantwortung. In der Psychotherapie nennt man das: Ich bleibe neutral gegenüber der Veränderung. Sie tritt ein oder sie tritt nicht ein. Ich kämpfe nicht den Kampf eines Patienten. Ich übernehme keine Verantwortung für die Veränderung. Das kann ich auch gar nicht, auch wenn manche Patienten viel Elan aufwenden, mich doch zur Verantwortung für die Veränderung zu überreden. Der Patient erhält von mir aber alle mir mögliche Unterstützung in seinem Versuch, etwas zu ändern. Vielleicht bin ich am ehesten so etwas wie ein Prozessverantwortlicher? Ich stelle vor allem Fragen, ohne die Antworten zu kennen, die der Patient für sich entwickelt. Manchmal kann ich Informationen geben oder auch davon erzählen, was andere schon an Ideen hatten. Daraus können sich Wege und Erkenntnisse beim Patienten entwickeln, wozu dann auch gelegentlich die Erkenntnis gehört, dass eine Veränderung nicht möglich ist. Das ist übrigens eine Erkenntnis, die nach meiner Wahrnehmung immer seltener akzeptiert werden kann. Wir sind offensichtlich zunehmend darauf fixiert, dass sich alles machen lässt, und wenn es psychisch ist, muss es sich ja auf alle Fälle verändern lassen, es ist ja „nur“ psychisch. Überall werden wir von Optimierungsfetischismus angesteckt, was zur weiteren Beschleunigung und Verdichtung des Lebens führt mit den typischen Symptomen der Erschöpfung mit Ängsten und Depressionen.

Es ist das, was ist – oder machen wir eine Geschichte daraus?

Zurück zur Zen-Perspektive: Es ist das, was ist. Am besten ist es, wenn ich es so sehe, wie es ist. Also auch keine Geschichte daraus mache, sondern es so sehe, wie es ist und nichts dazwischen stelle.

Keine Geschichte aus etwas zu machen, ist ungewohnt und offensichtlich fast unmöglich. Unzählige Erzählungen verweisen darauf.

Meinen Patienten erzähle ich z.B. seit Jahren die Geschichte, in der Hermann Hesse von einem alten chinesischen Bauern schreibt, dem sein Pferd weggelaufen ist. Die anderen Bauern des Dorfes kommen und bedauern ihn. Er meint: „Woher wisst ihr, dass das schlecht ist?“ Und in der Tat: Das Pferd kommt zurück, und es bringt einige Wildpferde mit. Die anderen Bauern kommen wieder, um ihre Glückwünsche zu seinem neuen Reichtung zu überbringen. Der Bauer sagt: „Woher wisst ihr, dass das gut ist?“ Und in der Tat: Beim Einreiten der Pferde bricht sich sein Sohn das Bein. Das gleicht Ritual findet statt: Die Bauern versammeln sich und bedauern den alten Chinesen. Und wieder fragt er sie: „Woher wisst ihr, dass das schlecht ist?“ Dann kommt der General, der alle jungen Männer zum Kriegsdienst mitnimmt – nur den Sohn des Chinesen nicht, da das Bein noch nicht ausgeheilt ist. Unser Bauer lächelt.

Unsere Geschichte von der Realität ist nicht das, was ist, sie ist nicht die Realität

Der Sinn ist klar: Ich mache aus dem, was ist, eine Geschichte. Dann beurteile ich anhand der Geschichte das, was ist. Die Geschichte lautet: Das ist Pech, das ist Reichtum, das ist ein Unglück, das ist ein Erfolg usw. Die Geschichte ist aber nicht „Das was ist“. Die Speisekarte ist nicht das Essen. Meine Beschreibung einer Erdbeere ist keine Erdbeere.

Dann aber ist es nicht notwendig, zu sagen: „Das hier ist besser und das hier ist schlechter.“ Ohne die Geschichte fehlt tatsächlich die Regel, nach der ich ein Urteil fällen kann. Ich kann natürlich rasch eine Regel machen, und dann urteilen. Aber der chinesische Bauer kommt und fragt: Woher weißt Du das? Du kannst Dir nicht sicher sein, es ist und bleibt eine Geschichte und damit eine Illusion in Bezug auf die Wirklichkeit.

Folgt der Bauer den Geschichten seiner Dorfgenossen, wird er zwischen den Gefühlen hin und her geworfen. Das ist das, was wir alle kennen.

Veränderung geschieht

Und die Veränderung? Veränderung und gestaltendes Handeln geschieht. Wenn ich es sehe wie der Bauer, ändert sich eine Menge, auch ohne daran herumzumachen. Auch ohne eine Absicht, es soll jetzt aber so oder so werden. Veränderung geschieht ganz einfach. Das zu sehen, ist sehr befreiend. Wenn Patienten erkennen, dass Veränderung geschieht und sie dem So-Sein keinen Widerstand entgegensetzen, dann erfahren sie Besserung mit den Problemen, derentwegen sie zu mir kommen. Der Prozess in der Psychotherapie ist oftmals der Weg zu lernen, dem, was ist, keinen Widerstand entgegen zu setzen. Und mit dem zu gehen, was ist, und zu dem zu stehen, was ist. Dann geschieht Veränderung. Von alleine. Aber nicht in völliger Passivität, sondern im Folgen der natürlichen Lebensimpulse.