Anerkennung und Wertschätzung: Sucht oder Suche?

(Lesedauer ca. 2 Minuten)

Es scheint so natürlich in unserer Zeit, dass wir Anerkennung und Wertschätzung brauchen. Doch es könnte sich auch um eine Sucht handeln.

Die Menschen, mit denen ich spreche und das Leben erforsche, gehen ohne Ausnahme davon aus, dass sie Wertschätzung und Anerkennung brauchen. Häufig beklagen sie sich, dass Partner, Eltern, Kinder, Chefs, Politiker und alle anderen es daran mangeln lassen und sehen sich in ihrer Empörung darüber völlig berechtigt.

Konditionierung auf Anerkennung in der Kindheit

Wenn Kinder in ihrer Entwicklung die Welt erobern, kann man die Begeisterung und Freude sehen, die sie dabei haben. Oder manchmal sind sie ganz selbstversunken und auf sich und ihr Tun zentriert. Es kann vorkommen, dass sie die Freude teilen wollen, und z.B. die Eltern rufen, damit sie etwas von den Entwicklungsschritten sehen können.

Nun haben die Eltern gelernt, die Kinder zu loben: „Ganz toll machst Du das!“ oder „Toll bist Du!“ In diesem Ausspruch findet eine Bewertung des Kindes und seines Tuns statt. Diese Bewertung lässt die Freude über das Tun in den Hintergrund treten. Die Kinder lernen nach und nach, sich an den Bewertungen (Wertschätzungen) auszurichten, nicht an der eigenen Lust an Entwicklungen. Die Kinder werden darauf konditioniert, die Wertschätzungen für das wichtige zu halten – und machen sie zur Grundlage für den selbst empfundenen Wert. Eben das Selbstwertgefühl.

Selbstwertgefühl als Folge der Bewertungen

Das nimmt dann seinen Lauf durch die Institutionen, mit denen die Kinder in Kontakt kommen: In der Kita wird bewerte, in der Schule mit den Noten sowieso, im Freizeitsport und später in den sozialen Medien mittels Klicks, Daumen, Herzchen, Followern usw. Ein lebenslanges Training der Selbstbewertung mittels Fremdbewertung (genannt Wertschätzung, Anerkennung, Lob usw.). In diesem Hamsterrad befinden sich alle, die ich kennen lerne. Wir sind angefixt und können uns am Ende nichts anderes mehr vorstellen, als dass wir Anerkennung brauchen wie die Luft zum Atmen, wenn wir nicht in totaler Frustration und Depression versinken wollen. Wir merken nicht einmal mehr, dass wir von Wertschätzung abhängig gemacht wurden, und damit von jedem, der will, manipuliert werden können. Wir erkennen Frust und Depression nicht als Entzugssymptome in der Folge des Drogenkonsums.

Lebenslust statt Wertschätzung

Lust entsteht ganz anders. Unabhängige Freude hat andere Wurzeln. Wir können ohne jede Wertschätzung Lust am Fühlen, Wahrnehmen und Tun empfinden. Wenn wir spielen oder einer Tätigkeit nachgehen, kann unmittelbar Lust entstehen. Keiner muss uns dafür sagen, dass wir gut gespielt haben. Es ist einfach lustvoll zu spielen. Im Flow einer Arbeit – denken, gestalten, handwerken – ist eine Bewertung einfach nur hinderlich und holt uns aus dem Rhythmus. Körperwahrnehmungen sind lustvoll, beim Essen, beim Sport, beim Sex. Keiner soll uns bewerten, wie toll wir schmecken können oder wie mäßig wir sexuelle Lust empfinden. Solche „Wertschätzungen“ sind manchmal geradezu absurd.

Wäre es nicht interessant zu erforschen, wie wir uns abhängig von Wertschätzung gemacht haben, und uns so selbst zu abhängigen Opfern von anderen mit der Macht, uns zu bewerten, entwickelt haben? Ich schlage vor, bei schönen Tätigkeiten wie z.B. Spielen, ein Tier streicheln und ähnlichem die Lust am Tun zu erforschen, und die Störung, die durch eine Bewertung hier entsteht zu bemerken.

Dann können wir das Spiel der Sucht nach Anerkennung, das sich vor unseren Augen überall ausbreitet erkennen, bei Bedarf mitspielen und ansonsten darüber schmunzeln.