Sich Sorgen machen: Umgang mit schwierigen Gefühlen

(Lesedauer ca. 4 Minuten)

Wer sich Sorgen macht, meditiert intensiv über etwas, von dem er gar nicht will, dass es eintritt. Wozu tut man das?

Was sind Sorgen?

Einige der häufigeren Probleme, mit der Menschen zu mir kommen, sind „Sorgen“: „Ich mache mir so viele Sorgen, das tut mir gar nicht gut, kann ich das los werden?“

Sorgen sind auf die Zukunft gerichtete Gedanken, die mit einem ängstlichen und spannungsgeladenen Gefühl einher gehen.
Wir machen uns keine Sorgen um das Wetter gestern, aber wohl um das Wetter morgen, wenn wir da eine Wanderung geplant haben. Gedanken, die auf die Vergangenheit gerichtet sind, können auch mit Spannungsgefühlen einhergehen, dann aber eher mit Wut statt mit Angst, z.B. wenn wir hadern und verbittert sind.

Oft drücken sich Sorgen in Fragen aus („Warum ist sie noch nicht zuhause?“) oder sie gehen mit typischen Formulierungen einher wie „hoffentlich nicht!“ oder „Es wird doch wohl nicht!“ („Hoffentlich ist ihr nichts passiert!“).

Die Sorgen werden erst dann zu Sorgen, wenn sich die Gedanken wiederholen, in meist gleicher oder ähnlicher Form, und auf die Fragen gar keine Antworten gefunden werden. Die Gedanken kreisen, und wir grübeln. Ein einzelner Gedanke wie „Warum ist noch nicht zuhause?“, der keine weiteren Gedanken nach sich zieht, die um das Thema kreisen, wird von uns nicht als Sorgen machen bewertet.

Sorgen müssen von Fürsorge, Mitgefühl und Planung unterschieden werden.

Sorgen, die ich in dieser Weise beschreibe, müssen von Mitgefühl oder fürsorglichem Denken unterschieden werden. „Ich mache mir Sorgen um Paul, der sah so schlecht aus letzte Woche“ führt vermutlich nicht zu Grübeln und kreisenden Gedanken. Sorge ist also etwas anderes als sich Sorgen machen. Diese Sorge wird mir auch nie als Problem serviert. Keiner kommt zu mir und sagt: „Ich habe echtes Mitgefühl mit Paul, der so krank ist, kann ich etwas gegen das Mitgefühl machen?“

Auch Pläne schmieden und sich vorbereiten entsprechen nicht dem sich Sorgen machen. So kann ich locker eine Reise vorbereiten und dabe z.B. ein paar Medikamente einpacken, ohne mir Sorgen zu machen. Ich bin dann einfach nur angemessen vorbereitet, mit weniger Aufwand bei einem Spaziergang, aber mit mehr Vorbereitung bei einer Expedition.

Der Zweck von Sorgen

Wozu machen machen wir uns Sorgen? Einen Zweck müssen sie ja wohl haben, wenn sich so viele Menschen damit herum schlagen.

Wenn ich mit meinen Patienten spreche, finden wir gemeinsam heraus, dass sich Sorgen machen eine Art Gefühlsmanagement darstellt. Zwar findet es keiner richtig prickelnd, sich Sorgen zu machen. Aber es scheint das geringere Übel zu sein. Was würde nämlich ohne die Sorgen passieren? Es würden andere Gefühle auftauchen. Jetzt oder später. Meist handelt es sich um schwer gefürchtete Gefühle wie Traurigkeit, Scham oder Schuldgefühle.

Sorgenfrei: Mit Gefühlen einverstanden sein

Wenn ich völlig einverstanden wäre, alle Gefühle zu haben, die kommen können, wenn ich mit allem möglichen, was das Leben bereit hält, konfrontiert werde und mein Leben in der Realität lebe, dann bräuchte ich keine Sorgen. Ich würde mich eventuell auf Dinge vorbereiten, wie z.B. eine Regenjacke auf die Wanderung mitnehmen. Wenn ich aber einverstanden wäre, dass ich wegen des Abbruchs einer regennassen Wanderung traurig werde, brauche ich keine Sorgen. Das gilt auch für Schlimmeres, z.B. die Sorge, dass jemand einen Unfall hat. Wenn ich einverstanden wäre, dann traurig und wütend zu sein, wenn der Unfall eintreten sollte, müsste ich keine Sorgen im Vorfeld haben. Das wäre dann ja wieder nur eine Meditation über etwas, was ich so ja gar nicht haben mag, um dafür die eventuell blöden Gefühle unten zu halten. Im Falle eines Unfalls könnten die gefürchteten Gefühle auch Verlassenheit und Einsamkeit sein.

Die meisten Menschen sind aber nicht einverstanden mit den sich natürlich entfaltenden Gefühlen. Die positiv gewerteten Gefühle nimmt man gerne mit, aber Traurigkeit mag man nicht haben. Sorgen sind dann ein Teil des Gefühlsmanagements. Indem ich mich intensiv vorbereite, vielleicht mit magischem Denken („wenn ich Schlimmes denke, wird es nicht so schlimm kommen“), wird die Traurigkeit oder was auch immer mich nicht so hart treffen – das ist die Grundlage fürs sich Sorgen machen. Sorgen entsprechen dann einer Kontrolle. Meist jedoch entpuppt sich die Möglichkeit, Kontrolle über Gefühle zu haben, als eine Illusion. Aber wir lieben solche Illusionen, und Menschen sind in der Regel ziemlich versessen auf Kontrolle. Dazu sind viele Mittel recht, z.B. auch Drogen.

Funktionieren Sorgen wie Drogen?

Mir ist aufgefallen, dass Sorgen so ähnlich funktionieren wie Drogen. Mit Alkohol kann man ja auch Gefühle managen, sonst würde keiner welchen trinken, und schon gar nicht viel davon. Und Menschen, die sich Sorgen machen, kommen davon ähnlich schwer los wie andere vom Heroin. Sie müssen auch ähnliches lernen, was auch Drogenabhängige lernen müssen: Gefühle erleben und gegebenenfalls aushalten, wie sie nun mal sind, wenn man sich nicht mit Sorgen oder der Flasche betäubt. Das wäre eine Arbeit in der Psychotherapie. Allerdings: wenn ich diesen Vorschlag mache, sind nicht so viele begeistert, dis sich lieber mit Sorgen oder psychoaktiven Substanzen vor anderen Gefühlen bewahren wollen.

Auch die Lebendigkeit ist eingeschränkt, sowohl bei Menschen, die suchtkrank sind, als auch bei Menschen, die sich Sorgen machen. Sorgenmenschen wirken auf mich in einer bestimmten Weise im Ausdruck und in der emotionalen Bewegung gehemmt – auch wenn sie das wegen der langen Gewöhnung selbst gar nicht so empfinden.

Sorgen weg lassen?

Also: man kann Sorgen nicht einfach weg lassen. Das beste ist wohl, zu sehen, wozu Sorgen dienen, nämlich Gefühle zu vermeiden, die in der Zukunft kommen könnten. Eine gute Frage zur Selbsterforschung dafür ist: Welches Gefühl könnte nachher oder morgen auftauchen, wenn ich mir jetzt keine Sorgen mache, aber der gefürchtete Fall eintritt? Wäre ich damit einverstanden, das Gefühl zu haben? Mag ich es vermeiden? (Und Sorgen helfen vermutlich nicht dabei, das Gefühl tatsächlich zu vermeiden, oder?)
Dann kann man entscheiden, ob man die Sorgen weiter nutzen mag. Das ist ganz so wie bei einem Suchtmittelkonsumenten. Der muss auch sehen, was passiert, wenn er Alkohol konsumiert, und wozu die Benebelung dient. Dann erst wird er eventuell ein Motiv in sich finden, sich auf den schwierigen Weg des Entzugs zu begeben.

Versprechen kann ich: Wer einverstanden ist mit allen Gefühlen, durch die ihn sein Leben surfen und schlingern lässt, wird sich keine Sorgen mehr machen – und sich dafür sehr lebendig fühlen.